Es war wie ein Schock für alle. Der Aufgabensplit des Projektes drehte sich um 180°. Die beauftragten 70% handwerklichen und 30% technisch geprägten Tätigkeiten kehrten sich um. Alle Maßnahmen und Überlegungen mussten noch einmal auf den Prüfstand, denn im handwerklichen Bereich lag der Umsatz pro Auftrag bei um die 10.000€ und im technischen Umfeld bei nur ein paar 100€. Dies gefährdete unsere Gewinnprognosen und würde die Auftragsflut weiter ansteigen lassen, wenn die 80Mio€ Umsatz noch realisiert werden sollten.
Was war geschehen? Der Bedarf an Kollokationsräumen war vom Kunden bei Weitem zu optimistisch eingeschätzt worden. Damit hatte er ein massives Problem, denn der Vertrag hatte eine Abnahmeverpflichtung, das hieß, der Kunde musste 50% des avisierten Auftragswertes bindend beauftragen – aber woher nehmen? Jetzt hätten wir uns zurücklehnen können, denn schließlich war dies nicht unser Problem. Doch unser Erfolg wäre einem Pyrrhussieg gleichgekommen, denn gewonnen hätten wir so nichts. Wir konnten niemals diese Abnahmeverpflichtung einklagen, denn unser Konzern war der Systemlieferant unseres Kunden, also war die Provokation eines Rechtsstreites undenkbar gewesen.
Doch vorrangig mussten wir ein ganz anderes Problem lösen. Bei der Vielzahl der Aufträge mit systemtechnischem Hintergrund und sehr kleinem Auftragsvolumen, begann uns der Gewinn einzubrechen. Eine erste Analyse zeigte, dass es an den Aufbauorten immer wieder zu Problemen kam. Entweder waren notwendige Vorleistungen des Kunden noch nicht erbracht worden oder der schriftliche Auftrag wurde Vorort mündlich erweitert. Diese Wartezeiten, Mehrfachanreisen und zusätzlichen Arbeiten machten sich bei einem Auftragswert von ein paar 100 € sofort bemerkbar, wenn sie nicht zur Abrechnung kamen. Jetzt war ich froh, dass sich unsere Projektmanagement Software bereits in vielen Rollout-Projekten mit hohen Stückzahlen bewährt hatte. Wir automatisierten einen Soll/Ist-Vergleich jedes einzelnen kleinen Auftrages und konnten nun genau analysieren woran es lag, wenn die Gewinnerwartung nicht erreicht wurde. Damit konnten wir gezielt unsere Bauleitung und die eigenen ausführenden Kräfte dafür sensibilisieren, diese Probleme in Form von zusätzlichen abrechnungsfähigen Stunden mit dem Kunden vor Ort zu vereinbaren. Bereits nach ein paar Wochen schrieb fast jeder Auftrag wieder schwarze Zahlen. Jetzt konnte unsere Aufmerksamkeit wieder dem Kunden gelten.
Nach mehreren Kundengesprächen wurde deutlich, dass dieses Problem andere Maßnahmen als nur das gewohnte Change Management erforderte. Der Kunde investierte gerade massiv in seine systemtechnische Infrastruktur und musste sich dabei in Bezug auf Qualität und Terminzusagen auf seine beiden Systemlieferanten verlassen. Diese waren beim Aufbau der Systeme bereits ins Hintertreffen geraten und standen stark unter Termindruck. Zu bemerken ist noch, dass diese Arbeiten fürstlich vergütet wurden, da die Hersteller, ihrer Monopolstellung geschuldet, ein hohes Preisniveau vereinbaren konnten. Hier hieß es anzugreifen, auch wenn wir dann bei unserem eigenen Konzern (einem der beiden Hersteller) zu wildern begannen.
Wir konnten unseren Kunden überzeugen uns als dritten Player in diesen erlauchten Kreis mit aufzunehmen. Was jetzt geschah war bemerkenswert. Wir hielten alle zugesagten Termine ein, wurden allmählich zum Liebling unseres Kunden und die Systemhersteller gerieten mit ihren Terminen immer weiter ins Hintertreffen. Erst später stellte sich heraus, dass die Terminverzögerungen bei Weitem nicht so dramatisch waren, wie sie dargestellt wurden. Durch unser täglich aktualisiertes Reporting bekamen mir jederzeit den terminlichen Überblick über jeden einzelnen Aufbauort. Unsere Mitstreiter verfügten nicht über so ein Reporting und stellten sich somit eigentlich immer schlechter dar, als sie in Wirklichkeit waren. Solche Projekte sind nun mal nicht mit Excellisten und wöchentlichen Rückmeldungen der Fertigstellungstermine erfolgreich zu managen.
Jetzt saßen wir aber immer noch auf dem Flächenrostmaterial welches wir zum Aufbau der Kollokationsräume zu benötigen glaubten. Wir sprachen kurzerhand die Carrier an, die diese Flächen von unserem Kunden anmieteten, ob sie Bedarf bei Erweiterungen und Aufbau der Systemtechnik hatten. Wir staunten nicht schlecht als man uns für diese Arbeiten beauftragte und sich der Umfang der Aufträge fast wie von selber stetig erweiterte. Jetzt stellten wir uns immer breiter auf und weitere Kunden kamen hinzu – aus dem Projekt wurde ein Programm.
Übrigens: Das Projekt ging insgesamt sieben Jahre und zuletzt trennten wir uns von dem immer noch übriggebliebenen Flächenrostmaterial und schenkten es einen Nachunternehmer.
Nächste Woche geht es weiter: Konkurrenz im eigenen Hause